Hohe prozentuale Rückgänge bei den Baugenehmigungen über Monate hinweg und ein Einbruch der Aufträge im Bauhauptgewerbe um ein Drittel im ersten Quartal dieses Jahres: Kletternde Zinsen, hohe Baupreise und der Krieg in der Ukraine haben die lange erfolgsverwöhnte Wohnungsbauwirtschaft in eine Krise manövriert. „Der Neubau steht vor dem Kollaps“, warnt Axel Tausendpfund, Vorstand des Immobilienverbands VdW Südwest. Derzeit geht es nur noch darum, auf den Bauplätzen die Aufträge abzuwickeln. „Es kommt nichts mehr nach“, sagt der Direktor des Verbands, zu den rund 400.000 genossenschaftlichen, kommunalen und privaten Wohnungen in Hessen und Rheinland-Pfalz gehören.
Auf dem von der Frankfurter Industrie- und Handelskammer (IHK) organisierten Kongress „Frankfurt/Rhein-Main baut!“ zeichnet Gerald Lipka ein ähnlich düsteres Bild. Der Wohnungsmangel werde sich weiter verschärfen, glaubt der Geschäftsführer des BFW Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland. „Heute nicht beantragte Wohnungen werden auch in zwei oder drei Jahren nicht gebaut.“ Lipka sieht noch einen anderen Effekt der Krise. Wer sich aufgrund der hohen Preise derzeit keine eigene Wohnung leisten kann, konkurriere nun auf dem ohnehin hart umkämpften Mietmarkt mit. Diese Realitäten seien in der Politik noch nicht angekommen, sagt er und appelliert an die schwarz-grüne Landesregierung, jetzt den Markt anzukurbeln. Zumindest eine vorübergehende Senkung der Grunderwerbsteuer sei geboten.
In Hessen liegt die Steuer, die beim Erwerb einer Immobilie oder eines Grundstücks anfällt, derzeit bei sechs Prozent des Kaufpreises. Frankfurts IHK-Präsident Ulrich Caspar geht noch weiter. Er fordert, die „Strafsteuer“ beim Kauf von einem Eigenheim bundesweit abzuschaffen. Als ein Weg aus der Krise schlägt er außerdem vor, im Wohnungsbau die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent zu senken. Steuerliche Anreize könnten helfen, Wohnungen noch finanzierbar zu machen.
„Das bezahlbare Wohnen bleibt auf der Strecke“
Unisono bemängelt die Immobilienwirtschaft – wie schon seit Jahren – die Vielzahl der Regularien beim Bauen. Der Wegfall von zehn Prozent der „verzichtbaren Bauvorschriften“ könnte 20 Prozent Kosten einsparen, heißt die Rechnung, die Tausendpfund aufmacht. Nach Angaben des VdW Südwest liegt derzeit im Rhein-Main-Gebiet die kostendeckende Miete im frei finanzierten Neubau bei 20 Euro pro Quadratmeter. „Das bezahlbare Wohnen bleibt auf der Strecke“, sagt Tausendpfund. Die Landesregierung in Wiesbaden hat es anders als etwa Rheinland-Pfalz in den vergangenen drei Jahren versäumt, den geförderten Wohnbau durch „Dynamisierungen“ effizienter zu machen.
Außerdem fordern die Verbände ein eigenständiges Förderprogramm des Landes für den Klimaschutz – dafür seien allein in Hessen für die Mietwohnungen mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr notwendig, um den Klimaschutz „warmmietenneutral“ umzusetzen. Hessen dürfe sich nicht zurücklehnen und auf den Bund verweisen, sagt Tausendpfund.
Ein Lob gibt es dann doch noch für die Wiesbadener Landesregierung – es kommt vom Verbandsdirektor des Regionalverbands Frankfurt/Rhein-Main, Thomas Horn (CDU). Der vom grün geführten Wirtschafts- und Bauministerium initiierte „Große Frankfurter Bogen“, mit dem das Land in den vergangenen Jahren gezielt den Wohnbau an Bahnstrecken in einer Entfernung von rund 30 Minuten vom Frankfurter Hauptbahnhof gefördert hat, sei ein „tolles Erfolgsmodell“.
Neuer Entwurf eines regionalen Flächennutzungsplans 2024
Verdichtetes und flächensparendes Bauen in der Nähe von Bahnstationen wird auch in Zukunft immer wichtiger. Horn rät, den „Frankfurter Bogen“ auf den gesamten Ballungsraum auszudehnen. Horn sei das Ausweisen von Bauland für die Kommunen der Region auch wegen Kollisionen mit dem Klimaschutz immer schwierig. Der Regionalverband wird Anfang nächsten Jahres den ersten Entwurf seines neuen regionalen Flächennutzungsplans vorlegen.
Wenig Hoffnung hat die Immobilienwirtschaft, dass die von ihr präsentierte Wunschliste auf Bundes- und Landesebene schnell umgesetzt wird. Zwar wird in Regierungskreisen in Berlin und Wiesbaden mittlerweile auch über eine Senkung der Grunderwerbsteuer diskutiert – etwa für die Selbstnutzer von Eigenheimen. Aber in Hessen steht im Oktober eine Landtagswahl an. Da ich mich vorher wenig bewegen werde, ist die realistische Einschätzung auf dem Kongress.
Auch der grüne Wohnungsbauminister Tarek Al-Wazir hat in seiner zum Auftakt der Tagung eingespielten „Videobotschaft“ der Immobilien- und Bauwirtschaft keine Angebote machen wollen. Angesichts der aktuellen Herausforderungen werde „die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums immer schwieriger“, sagte der Minister ein. Die Landesregierung habe aber mit ihren Hilfsinstrumenten „gute Rahmenbedingungen“ geschaffen. Für den geförderten Wohnungsbau gab sich Al-Wazir „nach derzeitigem Stand“ sogar vorsichtig optimistisch. Ein „Einbruch“ ist derzeit nicht abzusehen.
Quelle:Wirtschaft – FAZ.NET