Köln So viel Auswahl ist neu. „Was ist Ihr Weg?“, fragt Cassini Consulting in einer Instagram-Anzeige – auch: Wie willst du arbeiten? Und liefert gleich einen Vorschlag mit. „Bei uns kannst du auch in Teilzeit viel erreichen.“ Eine 60-Prozent-Stelle statt der oft erwähnten 60-Stunden-Woche? Komplett freie Freitage, anstatt die Projekte nach der Rückkehr vom Kunden noch am heimischen Schreibtisch bis tief in die Nacht vorzubereiten?
„Das Arbeiten in der Beratungsbranche hat sich spätestens durch Corona grundlegend verändert“, sagt Michael Seipel, Vorstand bei Cassini. „Wir gewähren alles an Flexibilität, was wir durchreichen können.“ Etwa fünf bis zehn Prozent der aktuellen 430 Beraterinnen und Berater in dem stark wachsenden Unternehmen arbeiten aktuell nicht in Vollzeit, sagt Seipel.
Ein Kulturwandel bahnt sich an in der Branche, in der lange Arbeitstage als Statussymbol gelten. Immer offensiver kommunizieren Consulting-Firmen die Möglichkeit zur Teilzeit, regelmäßig findet sich dieses Angebot bereits in Stellenanzeigen. Aus reiner Nächstenliebe freilich geschieht das nicht.
Zwar haben einige der Beratungen zuletzt einen Stellenabbau angekündigt, dennoch bleibt der Bedarf an gut ausgebildetem Nachwuchs immens hoch. Das passende Personal zu finden – es ist auch für die Consultingfirmen des Handelsblatt-Rankings „Top Beratung“ ein zentrales Thema.
Den Kandidaten liegen häufig auch Angebote von Konzernen und Start-ups vor, die mit guten Arbeitsbedingungen werben. „Da kann man nicht nur die beruflich leidensfähigen Bewerber nehmen, sondern muss auch die eigenen Ansprüche etwas rechtfertigen“, sagt Thomas Deelmann, Consulting-Experte und Professor für Verwaltungsmanagement und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW.
Schon länger etabliert sind bei vielen Beratungen regelmäßige Auszeiten von bis zu zwei Monaten, die sich an intensive Projekte anschließen. Jetzt nimmt die Bereitschaft zu, dass Berater ihre wöchentliche Arbeitszeit reduzieren können. Meist halten sich diese Mitarbeiter dabei einzelne Wochentage komplett frei. „Es ist deutlich leichter, auf bestimmte Tage zu verzichten, anstatt jeden Tag ein paar Stunden kürzer zu arbeiten“, sagt Cassini-Vorstand Seipel.
Von intensiven Diskussionen beim Thema Arbeitszeit berichtet Alexa Werner, in der Personalabteilung von Accenture Verantwortlich für die Talentstrategie. Die ersten Ergebnisse werden nun sichtbar. „Wir bieten verstärkte Positionen in Teilzeit an, auch auf dem Einsteigerlevel.“ In den kommenden Monaten soll die Möglichkeit zur individuellen Anpassung in den sogenannten „Vertragskonfigurator“ für alle Mitarbeiter integriert werden – darin können die Berater in einem gewissen Rahmen ihre Arbeitszeiten und Urlaubstage anpassen.
Der Kunde bleibt König, betonen die Beratungen dabei jedoch unisono. Daher warnt Deelmann davor, als Einsteiger die Versprechungen auf Karriereseiten zu überschätzen. „Häufig bleiben die Regelungen im Raum und die Möglichkeiten hängen von den Projekten und den jeweiligen Vorgesetzten ab“, sagt er.
Wenn ein Kunde ein festes Team vier Tage die Woche vor Ort sehen will, bleibt wenig Spielraum für flexible Arbeitszeiten. Allerdings steigt in einer wachsenden Zahl von Unternehmen die Bereitschaft, alternative Konzepte mitzugehen, die keine Vollzeitberater verlangen.
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Damit steigt jedoch der Aufwand. „Die richtigen Leute mit der richtigen Qualifikation zur richtigen Zeit für ein Projekt zu haben, war immer schon ein multidimensionales Optimierungsproblem“, sagt Stefan Hiendlmeier, Vorstand und Chief People Officer bei Horváth, „jetzt kommt eine weitere Dimension dazu.“
So wurden die besten Unternehmensberatungen ermittelt
Die Herangehensweise der in Stuttgart ansässigen Beratung, bei der von 1300 Mitarbeitern etwa 200 in Teilzeit arbeiten: Bevor es bei einem neuen Kunden losgeht, setzt sich das neue Team zusammen – und erstellt einen Projektvertrag. Der hält fest, wie die Zusammenarbeit konkret aussieht und wie die Präsenz beim Kunden. Dabei steht darin, wer an welchen Tagen und in welchem Umfang verfügbar ist.
Mit reduzierten Arbeitszeiten müssen die Beratungen allerdings ihre oft standardisierte Personalentwicklung überdenken. Das beginnt beim Einstieg. Häufige Projektwechsel und zeitintensive Einsätze gehören traditionell zu den ersten Berufsjahren dazu. „Die meisten kommen zu uns, weil sie nach ihrem Studium eine Lernkurve haben möchten“, sagt Jonathan Steinbach, Recruitingdirektor bei McKinsey Deutschland und Österreich.
Einige Beratungen versuchen, beispielsweise mit mehr hybriden Seminaren flexible Zeitpläne für den Einsteiger zu ermöglichen. „Wenn jemand weniger da ist, muss man Wege finden, auch in der reduzierten Arbeitszeit eine gute Einarbeitung und Entwicklung zu gewährleisten“, sagt Accenture-Expertin Werner.
Beratungsfirmen wollen länger in der Beratung beschäftigt bleiben
Ähnlich ist noch unklar, wie sich eine Consultingkarriere in Teilzeit entwickelt. Viele Beratungen weisen darauf hin, dass sie nicht mehr strikt auf absolvierte Jahre und Projekte blicken. Dazu passt, dass statt festgelegter Stufen immer erstklassige Spezialistenlaufbahnen zu finden sind. Die Beraterinnen und Berater offen, die aufsteigen wollen – aber keine Lust darauf haben, Teams zu führen oder Akquise zu betreiben.
Wer sechs Monate Sabbatical macht, sollte danach keine Gehaltserhöhung fordern. Michael Seipel, Vorstand bei Cassini
All das zahlt auf ein weiteres großes Ziel der Consultingfirmen ein: Länger beschäftigt in der Beratung zu bleiben – unabhängig von der Lebensphase. Dennoch kann eine Vollzeitstelle den nächsten Sprung beschleunigen. Wie stehen die Chancen für Berater, die aufgrund eines Sabbaticals weniger Praxiserfahrung vorweisen können?
Ob allein ein weiteres Projekt den Ausschlag für das nächste Level gebe, „ist eher unwahrscheinlich, und auch in Teilzeit lernt man natürlich dazu und entwickelt sich weiter“, beteuert Hiendlmeier von Horváth. „Aber klar, je nach Umfang der alternativ genutzten Zeit kann die individuelle Lernkurve auch länger dauern.“
Zu bequem wollen die Beratungen es dem Nachwuchs daher nicht machen. Trotz Teilzeitmöglichkeiten erwarten sie einen hohen Einsatz – und die Bereitschaft, bei nahenden Fristen auch von festgelegten freien Tagen abzuweichen. In einigen Fällen prallen die Erwartungen von Beratern und Vorgesetzten daher aufeinander. „Wer sechs Monate Sabbatical macht, erzielt in dieser Zeit keine Wirkung fürs Unternehmen und sollte danach keine Gehaltserhöhung fordern – solche Dinge passieren aber in der Tat“, sagt Seipel.