Die Konservativen haben gewonnen – doch die Taktik der Sozialisten könnte weitergehen
Die konservative PP ist stärkste Kraft in Spanien geworden. Ob sie regieren kann, ist aber alles andere als sicher, denn der erwartete Rechtsruck blieb aus. Nun stehen komplizierte Verhandlungen an, in denen es vor allem auf die kleineren Parteien ankommen wird.
SPanien hat am Sonntagabend einen regelmäßigen Wahlkrimi erlebt: Nach der Schließung der Wahllokale verfolgte das gesamte Land die Auszählung der Stimmen. Denn das Ergebnis war so knapp, dass erst rund 90 Prozent der Stimmzettel ausgezählt werden mussten, bevor es Gewissheit gab. Gegen 23 Uhr war es endlich die Überraschung verkündet: Entgegen den Erwartungen blieb der Rechtsruck in Spanien aus.
Zwar gewann Oppositionsführer Alberto Núñez Feijoo mit seiner konservativen Partido Popular (PP) die Wahl klar. Doch sein auserkorener Koalitionspartner, die rechtsnationalistische Vox-Partei, verlor Stimmen. Und so kamen PP und Vox den Meinungsumfragen entgegen, die vor der Wahl veröffentlicht wurden, gemeinsam nicht auf jenen 176 Sitzen, die für eine absolute Mehrheit im Parlament notwendig wären, sondern nur auf 169.
Da aber auch das links-sozialistische Bündnis um den amtierenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez mit der PSOE und seinem Junior-Koalitionspartner Sumar mit 153 Sitzen nicht auf eine absolute Mehrheit kam, dürfte sich die Regierungsbildung schwierig und langwierig gestalten. Und ihr Ergebnis ist völlig offen: Möglich ist sogar, dass der Prozess – wie bereits 2015 und 2019 – scheitert und erneut abgestimmt werden muss.
Passend zum knappen Ausgang ließen sich sowohl Sánchez als auch Feijoo in der Wahlnacht als Sieger feiern. Beide wurden von ihren Anhängern mit „Presidente!“ Presidente!“-Rufen empfängt und stellt den Anspruch, eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden. Wem das gelingt, wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Klar ist derzeit nur, dass Feijoo die Wahl zwar gewonnen hat, Sánchez‘ Wahltaktik aber ebenfalls äußerst erfolgreich war.
Um diesen Widerspruch zu verstehen, muss man zwei Monate zurückblenden: Ende Mai hatte Sánchez‘ Regierungsbündnis bei den Regional- und Lokalwahlen klar gegen den von Feijoo angeführten Rechtsblock verloren. Letzterer hatte die Abwahl von Sánchez zu seinem wichtigsten Wahlpunkt erklärt – und damit große Erfolge gefeiert.
Doch nicht überall reichten die Erfolge aus, um allein die Regierung zu übernehmen. Die PP braucht viele Orte Vox für die absolute Mehrheit. Vox gilt als fortschrittsfeindliche und EU-kritische Partei vom äußersten rechten Rand, mit der die PP bis vor jenen Wahlen nur in einem Ausnahmefall koaliert hatte.
Aber als sich nach den Wahlen im Mai herauskristallisierte, dass Feijoo diese Allianz zur Regel machen würde, wenn sie nötig wäre, um regieren zu können, rief Sánchez Neuwahlen aus. Damit zog er die Parlamentswahlen um rund ein halbes Jahr vor und sorgte dafür, dass der Parlamentswahlkampf genau in den Wochen fiel, in denen die PP in Regionen und Städten mit Vox-Koalitionsverhandlungen geführt wurde.
Und während Feijoo seinen Wahlkampf weiter auf die Abwahl von Sánchez ausrichtete, riefen seine Wähler dazu auf, eine Koalition von PP und Vox zu verhindern – diese, argumentierte der Sozialist, würde das Land in einen „dunklen Tunnel“ führen und könnte die progressiven Errungenschaften seiner Regierung rückgängig machen. Nicht ohne Grund erklärte er daher in der Wahlnacht erneut: „Ich habe geglaubt, dass wir uns als Gesellschaft für eine Richtung entscheiden müssen: für vorwärts oder rückwärts.“ Und mit dieser Wahl habe Spanien sich klar für die Richtung vorwärts entschieden, so Sánchez.
Plötzlich zeigt sich Feijoo offen für breite Allianzen
In der Tat erhielt Vox bei der Wahl rund 750.000 Stimmen weniger als 2019 und verlor damit 19 seiner 52 Parlamentssitze. Sozialisten und Konservative konnten hingegen Wähler gewinnen. Die PP legte mit 2,5 Millionen Stimmen sogar um mehr als ein Drittel zu, was vor allem am Verschwinden der liberal-bürgerlichen Ciudadanos-Partei liegt. Stimmen verloren auch das linke Sammelbecken Sumar, zu dem die Abgeordneten der linkspopulistischen Podemos-Partei gehören, dem aktuellen Koalitionspartner von Sánchez‘ PSOE.
Dass die Wähler eine potenzielle Allianz zwischen der PP und Vox ablehnen, scheint nun auch Feijoo zu sehen: In seiner Rede in der Wahlnacht erwähnte er Vox mit keinem Wort und zeigte sich offen für breite Allianzen. Darüber hinaus, wie es mit der Regierungsbildung weitergeht, werden nun auch die kleineren und vor allem die regionalen Separationsparteien mitentscheiden können. Sie ergatterten insgesamt 28 Sitze im Parlament und könnten einer der beiden Seiten zur Mehrheit verhelfen.
Quelle:Nachrichten – WELT