Die Knesset hat das Kernelement der umstrittenen Justizreform verabschiedet. Dabei wollte das sogar konservative Politiker aus dem Netanjahu-Lager bis zum Schluss verhindern. Die Folgen werden über die Abstimmung vom Montag hinausreichen.
Nein, Israels Demokratie ist noch nicht abgeschafft. Gestrichen hat das Parlament eine Klausel, mit der das Oberste Gericht des Landes Entscheidungen der Regierung als „unangemessen“ verwerfen kann. Noch immer hat Israels höchster Gerichtshof andere Mittel, um Regierungsvorhaben zu stoppen, etwa wenn sie nicht im Einklang mit den sogenannten Grundlagen-Gesetzen des Landes stehen. Darum ist die Angemessenheits-Klausel nicht allein entscheidend für das Überleben der Demokratie in Israel. Und diese Demokratie zeigt sich derzeit höchst lebendig.
Demokratie ist nicht nur das schläfrige Abstimmung von Durchführungsgesetzen. Demokratie ist auch, mal mehr und mal weniger, eine gesellschaftliche Schlacht, das Verschieben von Werten und Lagergrenzen. Das geschieht heute in Israel. Die Folgen werden über die Abstimmung vom Montag hinausreichen. Gerade im Lager von Premierminister Benjamin Netanjahu. Dort zeigen sich Risse.
Noch kurz vor der Abstimmung versuchte Netanjahus eigener Verteidigungsminister Yoav Gallant, das Votum zu stoppen und erneut mit der Opposition über eine abgeschwächte Fassung zu handeln. Offenbar hatte er dabei weder die Unterstützung des Premiers noch die seines ultrareligiösen Koalitionspartners. Auch im Umkreis von Netanjahus konservativer Likud-Partei mehren sich die kritischen Stimmen. Dessen früherer Verteidiger Moshe Jaalon ist schon lange eine Galionsfigur der Proteste.
Nun melden sich weitere Silberrücken zu Wort. Zu ihnen gehört Reuven Rivlin, erster Staatspräsident und schon lange als Netanjahu-Kritiker bekannt. Doch nun kritisiert auch Jossi Cohen die Justizreform, bis vor kurzem Mossad-Chef und davor unter anderem Netanjahus Nationaler Sicherheitsberater. Cohen verkörpert mit seiner familiären Herkunft jenen Typs Israeli, der den Kern des Likud bildet, die Schnittmenge von national geprägtem Zionismus und religiösen Juden.
Kommt bald die nächste Abstimmung?
In Umfragen lehnen mehr als zwei Drittel der Israelis die Reform ab – und damit auch viele Wähler Netanjahus. Fänden heute Wahlen in Israel statt, dann wäre eine Mitte-Linksregierung möglich. Netanjahus heutige Koalition bekämpft keine Mehrheit. Eine neue Knesset könnte erneut über die Reform abstimmen. Dass diese am Montag mit der Abschaffung einer Bestimmung begann, die unter anderem die Ernennung straffälliger Minister verhindert hatte, wird das Gesetz bei den Israelis sicher nicht beliebter machen.
Quelle:Nachrichten – WELT