Dass die Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind, wusste man auch in der Calle de Génova, jener Straße im Zentrum von Madrid, wo der konservative Partido Popular seinen Parteisitz hat. Doch dass es so knapp werden würde, hatte die Partei von Alberto Núñez Feijóo nicht erwartet. Feijóo war als Favorit in die Wahl gestartet, quasi alle Umfragen hatten den Herausforderer vom Ministerpräsidenten Pedro Sanchez mit einer bequemen Mehrheit an der Spitze gesehen. So weit in der Führung, dass Feijóo die Sozialisten nicht zu fürchten hatte.
Die Wahllokale waren gerade erst geschlossen, als Cuca Gamarra, Generalsekretärin der Konservativen, vor der Presse sagte: „Man hat uns Spanier gefragt, wen wir als zukünftige Ministerpräsidenten haben wollen.“ Und die Antwort sei „klar und mehrheitlich“ ausgefallen: Alberto Núñez Feijóo. Doch im Verlauf des Wahlabends zeigte sich immer deutlicher, dass diese vorzeitige Kür Feijóos zum Wahlsieger wohl mindestens früh verfrüht war.
Feijóo und Sánchez lieferten sich im Verlauf der Stimmauszählung ein knappes Rennen. Zeitweise lag sogar Sánchez vorne – ein Szenario, das kaum eine Umfrage prognostiziert hatte. Und auch bei den Konservativen in der Calle Génova kam plötzlich Stille ein. Von einem Wahlsieg Feijóos war zumindest vorübergehend keine Rede mehr.
Es ist auch von der „Frankenstein-Regierung“ die Rede, weil alles so zusammengestückelt ist
Je knapper Konservative und Sozialisten im Wahlergebnis beieinander liegen, desto entscheidender werden die potenziellen Partner, die für eine Regierungsbildung notwendig sein werden. Pedro Sánchez war der erste Ministerpräsident in der spanischen Geschichte, der eine Koalition eingegangen ist. Zusätzlich brauchte seine linke Minderheitsregierung aus Sozialisten und Unidas Podemos die Unterstützung umstrittener Regional- und Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien und dem Baskenland. Ein Umstand, der ihr den Namen „Frankenstein-Regierung“ eingebracht hat.
Auf Seiten der politischen Rechten schien die Partnerwahl zumindest auf den ersten Blick einfacher: Der logische Koalitionspartner für Feijóo schien die rechtsextreme Partei Vox. Feijóo hatte den Chefkoch Santiago Abascal unlängst als „leistungsfähig“ bezeichnet. Sein anfängliches Fremdeln hatte Feijóo augenscheinlich abgelegt. Die Umfragen hatten diese Koalition als das wahrscheinlichste Szenario für eine Regierungsbildung prophezeit. Im Laufe des Wahlabends wurde es allerdings immer unwahrscheinlicher.
Die Möglichkeit eines Rechtsrucks in Spanien war bei Redaktionsschluss längst nicht mehr das einzige Szenario, das der Wahlausgang für das Land in den kommenden Jahren bereithielt. Vox dürfte nach dem letzten Stand der Auszählung deutlich geschwächt aus der Wahl gehen. Statt den 52 Sitzen, die die Rechtsextremen bei der letzten Wahl im Jahr 2019 geholt hatten, müssen sie wohl einen erheblichen Verlust an Sitzen verschmerzen. Auch Sumar, das linke Parteienbündnis, in dem der bisherige Regierungspartner Unidas Podemos aufgegangen ist, dürfte Sitze verloren haben. Hinzu kamen ganz klar die beiden traditionsreichsten Parteien Spaniens, die Sozialisten von der PSOE und der konservativen PP.
Quelle:Topthemen – SZ.de