Als Otto von Sachsen, der damals schon „magnus“, „der Große“, hieß, im Sommer 972 aus Italien in seinem Reich nördlich der Alpen wiederverkäuflich, stand er auf dem Höhepunkt seiner Macht. In Rom hatte er seinen gleichnamigen Sohn, der schon seit vier Jahren als Mitkaiser regierte, mit einer byzantinischen Prinzessin verheiratet und die Erhebung der Grenzmetropole Magdeburg zum Erbbistum durchgesetzt. Süditalien war befriedet, Burgund für das Reich gesichert, Dänen, Slawen und Ungarn wagten keine Plünderungszüge mehr.
In Ingelheim am Rhein regierte Otto im September die Nachfolge des wichtigen Bistums Augsburg, in Frankfurt am Main überwinterte er, in Quedlinburg hielt er zu Ostern einen Hoftag ab, zu dem Gesandte aus ganz Europa kamen, auch aus Byzanz und dem muslimischen Spanien. Anschließend reiste der Kaiser über Merseburg in seiner Pfalz in Memleben an der Unstrut. Am 6. Mai 973 kam Otto dort an; einen Tag später erkrankte „der Herr der abendländischen Welt“, wie Leopold von Ranke ihn nennt, an einem Fieber und starb.
Züge eines Märchenkönigs
Knapp neunhundert Jahre später entwarf der Maler Moritz von Schwind, damals Professor an der Münchner Akademie, für seinen Dienstherrn Maximilian II. Joseph von Bayern ein Historiengemälde des Quedlinburger Hoftags. Auf Schwinds Ölskizze von 1850 ist das Geschehen wie auf Tizians Assunta aus der Frari-Kirche in zwei getrennte Ebenen gegliedert: oben der Kaiser mit seiner Familie vor dem Siegesbanner des Erzengels Michael aus der Schlacht auf dem Lechfeld, unten ein Knabe mit Lorbeerkranz zwischen pittoresken Gestalten mit Helmen, Kapuzen und Zöpfen.
Ein Recke mit goldenem Stirnreif hält eine Krone, ein anderer einen Pokal, ein Kaufmann mit rotem Hut bringt ein Hermelinfell. Otto selbst trägt die Züge eines Märchenkönigs mit Rauschebart und Wallehaar. Das Gemälde wurde nie ausgeführt; sonst gälte es heute als ein Hauptwerk der deutschen Spätromantik.
In der Ausstellung, die das Kulturhistorische Museum Magdeburg zum tausendfünfzigsten Todestag Ottos des Großen eingerichtet hat, ist Schwinds „Hoftag“ eins der künstlerisch bedeutendsten Exponate – und eins der zweideutigsten. Denn auf die Frage der Ausstellung „Welche Taten werden Bilder?“ gibt es Schwinds Gemälde keine klare Antwort. Die Taten, von denen es handelt, sind im Bild versteckt, genau: in den Personen, die es bevölkern.
Da ist, hauptsächlich, die untere militärische Neuordnung Mittel- und Südeuropas, versinnbildlicht in den Gästen (und Gesten) des Hoftags im Bildteil; und andererseits die Begründung einer Dynastie, verkörpert in der Familienaufstellung im oberen Teil. Allerdings gibt es innerhalb der beiden Gruppen keine erkennbare Hierarchie außer der Nähe zum Herrscher. Es ist Otto allein, der den gesamten Bildraum perspektivisch zusammenhält. Aber sein Charisma ist kein individuelles, seine Züge wirken stereotyp und unpersönlich: ein Kaiser aus dem Katalog.
Quelle:Aktuell – FAZ.NET