Voder gut zehn Jahre waren Spanien und Deutschland die einzigen großen EU-Länder ohne rechtsnationalistische Partei. Es wurden Argumente vorgebracht, warum beide Länder – auch aufgrund ihrer Diktatur-Geschichte – nicht für eine solche politische Strömung gemacht wurden. Heute gibt es in Deutschland die AfD und in Spanien Vox. Beide befinden sich im Umfragehoch. Nach der kaiserlichen Parlamentswahl am Sonntag könnte Vox erstmals an der Regierung beteiligt werden. Der ehemalige Journalist Hermann Tertsch sitzt für die Partei im EU-Parlament.
QUADDEL: Herr Tertsch, in Spanien hat Ihre Vox-Partei am Sonntag gute Chancen, in die Regierung zu kommen.
Hermann Tertsch: Wenn die konservative Volkspartei sich traut, eine Koalition mit uns zu bilden.
QUADDEL: Das Tabu der Zusammenarbeit zwischen Mitte-Rechts und Rechtsaußen fällt auf jeden Fall in Spanien gerade, in einzelnen Regionen gibt es schon Bündnisse. Glauben Sie, dass dies auch bei CDU und AfD in Deutschland passieren wird?
Tertsch: Nein, das glaube ich nicht für die nähere Zukunft. Wir verstehen uns als rechtskonservative Partei, die AfD ist an vielen Stellen anders positioniert. Aber es wird eine konservative Kraft in Deutschland entstehen. Sie wird wahrscheinlich aus beiden Parteien hervorgehen. Teile von CDU und AfD werden wegfallen. Ich weiß nicht, ob die neue Partei CDU oder AfD heiß wird oder ganz anders. Aber es wird eine Partei geben, die alle jene vertritt, die konservative Werte schätzen.
QUADDEL: Was sind konservative Werte für Sie?
Tertsch: Freiheit, Familie, Loyalität, Leistung, Sicherheit und nicht zuletzt die Nation.
QUADDEL: Der Begriff der Nation ist in Deutschland historisch bekanntlich belastet. Sie kennen sicher den Ausspruch von Ex-AfD-Chef Alexander Gauland, der die Nazizeit als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnet hat. Ist das die Kunst und Weise, wie man den Begriff rehabilitieren sollte?
Tertsch: Nein! Natürlich nicht. Die Nazizeit ist ein schwarzes Loch in der Geschichte der Menschheit. Weil in Deutschland damals einige Faktoren zusammenliefen, die das ermöglicht haben. Aber das heißt nicht, dass die deutsche Nation in so ein schwarzes Loch der Humanität zurückfallen wird. Gesellschaften können eine Identität haben, ohne andere Identitäten zerstören zu wollen. Doch diese Perspektive wird in Deutschland seit langer Zeit nicht mehr zugelassen.
QUADDEL: Warum stehen AfD oder Vox jetzt so gut da in den Umfragen?
Tertsch: Es ist eine Reaktion auf die Dominanz einer sozialdemokratischen Ideologie. Weil die sogenannten traditionellen konservativen Parteien sich dieser Sozialdemokratie angebiedert haben, manchmal mit ihr identifiziert haben.
QUADDEL: Ich nehme an, in Deutschland bringen Sie das mit Angela Merkel in Verbindung.
Tertsch: Sie hat großen Schaden für Deutschland und ganz Europa gebracht und einer der Schäden ist die Konversion der CDU zu einer zweiten sozialdemokratischen Partei, die alle Themen des Zeitgeistes übernommen hat. Gender-Themen, die Verneinung der Nation; Merkels Migrationspolitik war Teil dieser Negierung. In Deutschland gibt es dabei einen seltsamen Widerspruch: Einerseits gibt es eine Strömung, die die deutsche Nation auflösen möchte. Auf der anderen Seite ist da dieser Hochmut: „Wir schaffen das.“ Sprichwort: Wir sind die Guten und Resteuropa müssen da mitziehen.
QUADDEL: Ein deutscher Sonderweg in Europa?
Tertsch: Am deutschen Wesen muss die Welt genesen. Ganz Europa leidet unter der deutschen grünen Ideologie, dieser Klima-Katastrophismus. Der uns einreden will, dass wir leiden müssen, obwohl der Effekt des Leidens kaum bemerkbar ist. Die CO₂-Emissionen in Europa sind im weltweiten Vergleich relativ gering. Es fehlt die Proportion.
QUADDEL: Wie würden Sie denn den Klimawandel bekämpfen?
Tertsch: Der ganze Green Deal, den Ursula von der Leyen mit ideologischen Zielen begonnen hat – dafür wurde die EU nicht gemacht. Sie wurden von freiwilligen, souveränen Ländern gegründet, um als Nationen zusammenzuarbeiten. Nicht, damit ein EU-Organ sagt, wie sich jedes Land verhalten muss, gegen den Willen der Wähler im jeweiligen Land.
QUADDEL: Sie konzentrieren sich auf die EU-Kommission. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die EU eine duale Struktur hat. Es gibt den Europäischen Rat, in dem die nationalen Regierungen zusammenarbeiten. Abgesehen davon: Ist nicht gerade der Klimawandel ein überstaatliches Problem? Wenn jedes Land seine eigenen Pläne macht, droht nicht gerade dann Chaos?
Tertsch: Wir sollten mehr Angst haben vor dem aktuellen Durchpeitschen von Ideen. Ich glaube, mit Regierungen, die die Interessen ihres Landes verteidigen, wird man Lösungen finden. Das jetzige Vorgehen wird sicherlich von vielen Menschen in Europa abgelehnt – und die Quittung wird es bei der Europawahl im nächsten Jahr geben.
QUADDEL: Inwiefern?
Tertsch: Die Parteien rechts der Mitte werden danach viel stärker sein.
QUADDEL: Im EU-Parlament gibt es drei Gruppen auf der Rechten. Die Mitte-Rechts-Fraktion EVP, zu der auch die CDU gehört. Und weiter rechts Ihre EKR-Fraktion sowie die ID-Fraktion, in der auch die AfD vertreten ist. Bisher verläuft eine „Brandmauer„ rechts der EVP, sprich eine Zusammenarbeit zwischen Mitte-Rechts und Rechtsaußen ist tabu.
Tertsch: Es darf aber nur eine „Brandmauer“ geben. Gegenüber Totalitaristen. Mit Nazis und Kommunisten darf es keine Zusammenarbeit geben.
QUADDEL: Wer zählt für Sie im Europaparlament dazu?
Tertsch: Wir haben keine Nazis im EU-Parlament. Aber wir haben Kommunisten. Wir haben Helfer von blutigen Diktatoren, in Kuba, Bolivien, Venezuela oder Nicaragua. Warum zieht da niemand eine Brandmauer?
QUADDEL: Und rechts gibt es keine Sympathisanten von Diktaturen? Ich bitte Sie.
Tertsch: Ja, es gibt sie auch auf der Rechten und das tut mir sehr leid. Das ist eine der Sachen, die eine Zusammenarbeit unmöglich machen. Wir werden vermutlich zwei Gruppen im EU-Parlament bleiben.
QUADDEL: Also eine Gruppe Ihrer EKR-Fraktion und auf der anderen Seite die ID-Fraktion mit der russlandbegeisterten AfD…
Tertsch: Ja, wobei ich glaube, die AfD hat eine geteilte Seele. Sie ist wie die Partei von Marine Le Pen in Frankreich, wo es auch viele Russlandfreundliche, oder besser gesagt, Putin-Unterstützer oder -Versteher gab. Wobei die Partei von Le Pen sich weiter in unsere Richtung bewegt hat als die AfD.
QUADDEL: Die Partei von Le Pen wurde sogar von Russland finanziert.
Tertsch: Ja, in der Vergangenheit gab es das. Aber ich denke, niemand ist mehr von Russland finanziert worden als Herr Schröder und viele seiner SPD-Freunde. Die deutsche Regierung sollte über die Russland-Freundlichkeit anderer nicht zu sprechen sein. In unserer EKR-Fraktion kommen jedenfalls nur Parteien, die sich für die Souveränität der Ukraine einsetzen.
QUADDEL: Sie erwägen derzeit, die ungarische Fidesz aufzunehmen. Die ist nicht gerade proukrainisch. Ungarns Premierminister Viktor Orbán sagt, man sollte Frieden schaffen und in Kauf nehmen, dass die Ukraine einen Teil ihrer Gebiete verloren hat.
Tertsch: Das stimmt so nicht. Er sagt, man solle den Konflikt einfrieren. Er sagt nicht, dass man das völkerrechtlich festschreiben soll. Wir sehen das anders als Orbán. Aber strategisch ist Ungarn auf unserer Seite, auf der Nato-Seite.
QUADDEL: Das Ziel der Nato die Befreiung der Ukraine von jeder russischen Besatzung. Ist das tatsächlich auch Orbáns Ziel?
Tertsch: Es ist nicht seine Priorität, aber es ist sicher auch sein Ziel.
Quelle:Nachrichten – WELT