9. Juni 2023
DHinten in der behaupteten Terrassenecke sitzt ein junger König und prahlt beim Gin mit seinen Erfolgen. „Und wenn mal was schiefgeht?“, fragt aufgeregt seine Begleitung. „Ich kriege gerade jede Woche ’ne Million mehr aufs Konto – was soll da schiefgehen?“ Der Kellner bringt noch ein paar Nüsschen und zieht sich vor dem Servieren schnell noch den weißen Handschuh zurecht. Die Sonnenterrasse an diesem Freitagabend ist bis auf den letzten Platz belegt, unten fließt gelassen der Rhein vorbei, auf der Mittleren Brücke sind eben die Laternen angegangen. Seit mehr als dreihundert Jahren sitzen die Gäste hier und schauen herab auf den Gang der Dinge. Auf der Terrasse eines Hauses, das das heimliche Selbstverständnis seiner Besucherinnen und Besucher im Namen trägt: „Trois Roi“ – „Drei Könige“. Wer heute Nacht kein Zimmer in der Fünf-Sterne-Herberge hat, hat auch keine Chance auf einen Tisch unter freiem Himmel. Ein kleines Freundinnengrüppchen, das sich unbemerkt Zutritt auf die exklusive Terrasse verschafft hat, wird vom Kellner schnell wieder ins Haus zurück komplementiert.
Platz gibt es in keinem Fall genug. Der Mangel steigert die Nachfrage. Die wenigen Tische etwa, die im alten Speisesaal an den großen Rundbogenfenstern zum Rhein auf edlem Tafelparkettboden stehen, sind, so kolportieren es die Kellner, bis Ende des Jahres für Verabredungen zum Nachmittagstee reserviert. Dort haben selbst die Gäste des unlängst umgebauten und von seinem architekturgeschichtlich sensiblen Besitzer wieder nach historischem Vorbild in stand gesetzten Häusern kein Vorzugsrecht. Der Blick kostet nicht einfach ein bisschen, sondern so viel, dass sich hier erhöht am Großbasler Rheinufer zu sitzen nur eine sehr kleine Schar Auserwählter leisten kann. Eine Schar von Königen eben. Oder solche, die sich heute für Könige halten. Wie der junge Kapitalmacho dort hinten. Jetzt hat er sich erhoben und schiebt den Wasserkühler mit seinen glitzernden Turnschuhen aus dem Weg. Seine Begleiterin springt auf und beflissen ihn. Die Nacht verbringen sie wahrscheinlich in einer Luxussuite mit Dachterrasse und Whirlpool. Und oben drüber klirrt die Stadtfahne im Wind. Stolz trägt sie als Wappen den schwarz gekrümmten Hirtenstab der Bischöfe – das waren einst die ehrwürdigen Herrscher in dieser Stadt. Heute sind es die Pharmaerben. Sie laufen dieselben fünfzehn Zentimeter nach vorn zum Rhein geneigten Treppen hinauf, schlafen mit dem Kopf an denselben handbemalten Tapetenwänden. Das Königs-Haus kann nichts für seine Gäste sein. Konnte es noch nie.
Quelle:Aktuell – FAZ.NET